«Familienarbeit als Armutsfalle? Den Risiken bei Trennung und im Alter vorbeugen»
Eindrücke und Erkenntnisse vom Praxisforum 2022 in Bern
Wer während der „Babypause“ keiner Erwerbsarbeit nachgeht, unterliegt einem höheren Armutsrisiko. Insbesondere wenn die Partnerschaft auseinandergeht, kann die Person, die sich um die Familienarbeit kümmert, u. U. nicht mit ausreichenden Einkünften rechnen. Um das Armutsrisiko des betreuenden Elternteil zu reduzieren, sind Rahmenbedingungen notwendig, die egalitäre Familienmodelle fördern. Was dazu braucht und wie das gelingt, war Thema am Praxisforum im Oktober 2022 in Bern. Wir vom Väternetzwerk Schweiz waren mit einem Workshops vertreten und haben euch die wichtigsten Punkte zusammengefasst.
Familienarbeit erhöht das Armutsrisiko
Andrea Gisler: Hoher Handlungsbedarf
Wer sich in der Schweiz statt der (Haupt-)Erwerbsarbeit nachzugehen, um die Familienarbeit kümmert, unterliegt einem höheren Risiko zu verarmen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partnerschaft der Eltern auseinander geht (Trennung, Scheidung). Heute wird rund die Hälfte der Ehen in der Schweiz geschieden. Etwas 200’000 Menschen sind in der Schweiz auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Zwei Drittel davon sind Frauen, ein Dritteln Männer. Der Handlungsbedarf ist also hoch.
Andrea Gisler, Fachanwältin für Familienrecht und Mediatorin, skizzierte die Ausgangslage anhand von Beispielfällen. Sie zeigte die teils drastischen Unterschiede die beispielsweise durch den Gender Pension Gap entstehen. Während die Differenzen in der AHV gering sind, muss der betreuende Elternteil mit starken Einbussen in der zweiten Säule rechnen. Dabei sind Menschen, die sich für ein Konkubinat entschieden haben, im Trennungsfall stärker betroffen als Eheleute.
Keine langfristige Perspektive bei der Familiengründung
In der Phase der Familiengründung sind sich die Beteiligten oft nicht über die langfristigen Konsequenzen bewusst. Die Wahl des Familienmodells erfolgt aufgrund der aktuellen Situation. Geburt und Familiengründung stehen im Vordergrund. Dabei ist die traditionellen Rollenverteilung unbewusst nach wie vor sehr präsent. Zwar findet ein Wandel statt, weg vom Ernährer-Hausfrau-Modell hin zum Zuverdiener-Modell. Im Grundsatz bleibt die Rollenverteilung für viele Paare jedoch unverändert: Der Mann sorgt meist für die materielle Sicherheit der Familie, die Frau kümmert sich im Schwerpunkt um die Familienarbeit. Damit ändert an der finanziellen Situation der Paar insgesamt wenig.
Das Schweizer Recht- und Sozialsystem ist stark geprägt vom bürgerlichen Ehemodell. Dadurch sind egalitäre Zweiverdiener-Modelle nach wie vor selten. Und hier wird deutlich, dass der Wunsch vieler Paar und ihre Wirklichkeit weit auseinanderklaffen.
Ein interessantes Detail auf das Andrea Gisler aufmerksam machte: Früher war der sog. Hausfrauenlohn, also die finanzielle Entschädigung der Haus- und Familienarbeit, ein Anliegen der bürgerlichen Parteien. Heute kommt die Forderung eher von linken Aktivisten und Aktivistinnen. Für sinnvoll hält Andrea Gisler die Forderung nicht, da sie nicht zu dem notwendigen Wandel beiträgt.
Ansatzpunkte zur Reduktion des Risikos
Wo kann und sollte man ansetzen? Andrea Gisler liefert folgende Punkte:
- Für Lohngleichheit sorgen
- Die Teilzeitfalle eliminieren
- Berufliche Vorsorge: Pensionskassensplitting im Rentenalter, die Eintrittsschwelle senken und Koordinationsabzug abschaffen oder senken
- Das Angebot von bezahlbaren Kinderbetreuungsplätzen sicherstellen
- Das Steuersystem reformieren: höhere Steuerabzüge für effektive Kinderbetreuungskosten, Individualbesteuerung
- Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen: Flexible Arbeitszeiten, Home Office, Jobsharing
- Finanzplanung für Familien und Partner sicherstellen
- Bezahlter und unbezahlter Arbeit umverteilen
- Geschlechts- und zivilstandsunabhängige Ausgestaltung der Sozialversicherungen
Im Anschluss an den Impuls von Andrea Gisler, fanden fünf Workshops zu spezifischen Aspekten der Familienarbeit statt. Einen davon haben wir gestaltet. Und bei uns ging es (natürlich) um die Perspektive der Väter auf das Thema Vereinbarkeit:
Familienarbeit aus der Perspektive der Väter
Der Titel unseres Workshop lautete:
Zwischen Laptop und Wickeltisch? – Welche Vorstellungen haben Väter zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wie gelingt die Umsetzung? Wie entwickeln sich Männlichkeitsbilder weiter?
Uns ging es darum, das Spannungsfeld der Väter aufzuzeigen, wenn es um Fragen der Vereinbarkeit geht. Väter, die sich aktiv und engagiert für Familienarbeit einsetzen, werden nach wie vor gelobt. Da zeigt: sie werden als Besonderheit angehen:
Das führt dazu, dass Männer ihren Wunsch und ihre Vorstellungen in Bezug auf Vereinbarkeit sehr aktiv und standhaft durchsetzen müssen. Das kann nicht jeder gleich gut. Zudem sind die Voraussetzungen je nach Lebenssituation sehr unterschiedlich. Wunsch und Wirklichkeit der Väter weichen darum nach wie vor stark voneinander ab. Zudem ist festzustellen:
«Für das heutige Leitbild vom Vatersein ist wesentlich, dass die Figur des ‚abwesenden Ernährers’ abgelehnt wird. (…) Wunsch ist der engagierte und in der Familie involvierte Vater. Das bringt aber keineswegs ‚automatisch‘ eine Aufgabenteilung mit sich, in der der Vater zu gleichen Teilen Sorgearbeit leistet wie die Mutter. Somit eröffnet sich ein Spannungsfeld: Einerseits unterscheidet sich das gelebte Arbeitsarrangement äusserlich nicht gross von dem der eigenen Eltern, andererseits grenzen sich heutige Väter stark vom Vaterbild früherer Generationen ab und entwickeln ganz andere Ansprüche an sich als Vater.»
MenCare Report Vol. I (Baumgarten & Borter 2016)
Unsere Kernbotschaft:
Wir haben uns sehr über das rege Interesse an unserem Workshop und den spannenden Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gefreut. Insbesondere hat uns der Zuspruch zu unserer Arbeit mit Vätern sehr gestärkt.
Regula Rytz: Dran bleiben!
In ihrer Abschlussrede lobte Regula Rytz, ehem. Nationalrätin und amtierende Präsidentin der kantonalen Fachkommission für Gleichstellungsfragen, das Engagement der Beteiligten. Und sie ermutigte, dran zu bleiben, um die unerwünschten Unterschiede und damit das vermeidbare Risiko zu reduzieren, durch Familienarbeit zu verarmen.
Wir von Väternetzwerk Schweiz ermutigen Väter, das Thema Familienmodell und Carearbeit mit Partnerin und Arbeitgeber:in zu besprechen und den eigenen Weg zu finden (statt in die Traditionsfalle zu tappen). Zum Beispiel beim Workshop dad@work, den wir auch in Unternehmen und Institutionen durchführen.
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